Günter Unbescheid - Mandala

Mandala bedeutet bekanntlich im wörtlichen Sinne „Kreis“ und visualisiert in seiner ursprünglichen Verwendung religiöse und metaphysische Inhalte, um sie dem Betrachter meditativ und kontemplativ nahezubringen und verständlich zu machen. Mandalas abstrahieren auf diese Weise die äußerlich wahrnehmbare Wirklichkeit und zeigen statt dessen ihre „hintergründigen“, geistigen wie religiösen Inhalte und Wahrheiten auf.

In der modernen Architektur ermöglichen neue Bau- und Werkstoffe ehrgeizige Formexperimente, die noch vor wenigen Jahrzehnten aus statischen Gründen undenkbar gewesen wären. Die schwebenden und verschlungenen Formen lassen bei dem Betrachter die Gesetze der Schwerkraft für kurze Zeit vergessen, entrücken ihn scheinbar der irdischen Welt. Glas, Beton und vielfältige metallische Werkstoffe, die in modernen Bauten eingesetzt werden, entfalten ein nicht enden wollendes Spiel von sich überlagernden Linien, Formen und Strukturen. Gebaut wird mehr denn je mit dem Licht, den Spiegelungen und Reflektionen der Umgebung. Der Bau stilisiert sich vor diesem Hintergrund als unmittelbarer Spiegel seiner Umwelt, er wird scheinbar eins mit seiner Umgebung. Er transzendiert sich in diesem Sinne selbst – er wird zum Mandala.

Bei meiner Fotografie interessiert mich nicht die äußere Form und die Wiedererkennbarkeit des abgebildeten Objektes.  Vielmehr fasziniert mich das freie Spiel mit der Perspektive, den geraden wie runden  Formen der Bauten. Jede – noch so geringe – Änderung der Perspektive oder des einfallenden Lichtes entfacht ein nicht enden wollendes Feuerwerk an neuen Formen, Strukturen, Spiegelungen.  Die SW-Fotografie betont aus meiner Sicht diese Abstraktion von der ursprünglichen Form und schafft eine eigene, grafische Wirklichkeit. Mehrfachbelichten potenzieren darüber hinaus durch die entstehenden Interferenzen das Formenspiel der abgebildeten Baukörper.

Das Foto wird dadurch zum Diagramm – zum Mandala. Es lädt ein zum hemmungslosen Betrachten – Genuss und Freiheit der Formen. Das Foto wird zum Wegweiser.

Günter Unbescheid